Friday, June 10, 2011

Regierungsbilanz

(Ein kurzer Vorwand gleich zu Beginn. In den letzten Tagen und Wochen bin ich, wie der aufmerksame Leser sicher gemerkt hat, nicht so oft zum Schreiben gekommen. Das hat natürlich vielschichtige Gründe, die sich aber alle im Dunstkreis zwischen Faulheit, Trägheit, allgemeiner Verplanung, Uni und geistiger Umnachtung verorten lassen. Also bitte keine Sorgen machen, alles ist okay und wie jeder gute Sünder gelobe ich Besserung, um natürlich vorhersehbarerweise wieder ins bewährte Muster zurück zu fallen. Vielen Dank aber an alle, die den Blog gern lesen und mir das auch geschrieben haben. Aber nun los!)

Wie jedes gescheite Schreckensregime, was etwas auf sich hält, steht natürlich eine Bilanz der ersten 100 Tage an. Jetzt sind's schon 120, denn auf den Tag genau vor vier Monaten hab ich mich ja auf den Weg gemacht. Nun ist schon Prüfungszeit und es wird auch langsam Zeit, dass das Semester vorbei geht. Vor allem aber freu ich mich schon auf die Reise, die ab Mitte Juli vor der Tür steht. Kolumbien und Peru, ick hör dir trapsen!

Aber nun ein kurzer Blick zurück. Vor zwei Wochen waren wir von der Uni aus im chilenischen Präsidentenpalast. Prunk und Protz aus diversen Epochen stillos nebeneinandergefriemelt, aber ansonsten ein schönes Gebäude. Es gibt auch einen Hof für die indigenen Völker Chiles. Seltsamerweise ist er der kleinste, dunkelste und abgelegenste von allen... Außerdem wird er von der Präsidentengattin gemanagt, während die anderen Höfe Ministerien beherbergen. Was soll's?!

Dann beantwortete der Tourführer auch gleich die Frage (die er sich selbst gestellt hatte) nach den Räumlichkeiten von Salvador Allende. Die sind doch tatsächlich bei der letzten Renovierung aus Versehen unzugänglich gemacht worden. Da fragt man sich nicht zu Unrecht als Bewohner eines Landes mit sowohl aufgearbeiteter Geschichtsschreibung als auch vorzeigbarem Handwerk: Haben dir jetzt die Türen und Fenster verputzt oder das Gemach gleich mit Beton volllaufen lassen?



"La Moneda", der Präsidentenpalast, war früher auch die Münzprägeanstalt Chiles. Wie passend, dass Macht und Geld auch räumlich so gut getrennt waren. So konnte auch jeder Präsident zu der Ehre gelangen, eine eigens für ihn geklöppelte Ehrenmünze gewidmet zu bekommen. Die werden auch ausgestellt. Auf meine Frage nach der Pinochet-Münze antwortete unser Tourleiter, dass über das Ausstellen dieser Münze jeder Präsident wieder neu entscheidet. Der aktuelle, Sebastian Piñera, will das nicht. Ihm sei Pinochet damals nicht demokratisch genug an die Macht gekommen. Naja...

Überhaupt ist Demokratie im französischen Sinne hier gerade groß im Kommen. Man protestiert! Zuerst gegen einen Megastaudamm im Süden, den ich nur aus Sicht eines Großkapitalisten verstehen kann. Aus diesen Demos hat sich dann ein Disput über Polizeigewalt und Tränengaseinsatz entwickelt. Jetzt ist auch noch Bildungsstreik und nach Monaten des Zuschauens streiken sogar einige Fakultäten der Católica, wo ich studiere. Meine Fakultät natürlich nicht, aber ich hatte bereits mehrere Male während des Semesters einen privaten Streik ausgerufen und war im Bettchen geblieben, so dass das zu verschmerzen ist.

Vor kurzem waren wir dann schließlich auch beim Pferderennen. Eine traumhafte Veranstaltung. Mitten im Oval finden sich ca. 200 gemauerte Grills mit Sonnenschutz wieder. Eintritt 15 Cent, Mindesteinsatz 30 und Pils entweder mitgebracht oder zum Spätshop-Preis. Ist Pferderennen in England oder Hoppegarten ein "Sehen und gesehen werden", dann ist das hier eher ein "Wenn's dunkel wird, geht Frau besser nicht mehr allein Richtung Klo". So ein bisschen wie ein Volksfest, wo man sich überall amüsieren kann, aber mit fortschreitender Stunde der Pegel steigt und die Vertrauenswürdigkeit des Publikums in gleichem Maße sinkt.



Alle halbe Stunde schnappen die Startboxen auf und ein zunehmend animierter Mob schiebt sich auf die Tribüne, um den "schielenden Erzbischof" oder "Gnadenschuss" nach vorne zu brüllen. Nach 15 Rennen hatte ich 2 Euro verloren, aber ein paar Leute haben mich nach Tipps fürs nächste Rennen gefragt. Einfach, weil ich kompetent den Quotenmonitor verfolgt und bei der Pferdepräsentation stirnrunzelnd die Vorderläufe begutachtet habe. So macht man's eben!

1 comment:

bashseb said...

passend zu den Protesten interessiert Dich vielleicht:

http://www.tagesschau.de/ausland/chile454.html