So, da sind sie vorbei, die ersten zwei Wochen in der Uni. Seit anderthalb Jahren hatte ich nicht mehr Vorlesungen beigewohnt mit dem Wissen im Hinterkopf, dass der vorgetragene Schmarrn irgendwann im Rahmen einer Klausur abgefragt würde, die auch was zählt. Nicht wie in Spanien, wo die gute alte Münze mich auch schon mal zur Klausurzeit Kaffee, Zeitung und Strand genießen ließ, während die anderen fleißig Umwelttechnik-Klausur schrieben – mit dem gleichen Ergebnis übrigens. Nein, jetzt würde es wieder ernst werden, das Kribbeln war wieder da! Motiviert wie ein getollschockter texanischer Zuchtbulle auf Steroiden vor dem Arsch einer Weidekuh wuchtete ich mein nach Wissen lechzendes Hirn durch die Automatiktür des Behinderteneingangs (ein bisschen Komfort muss sein).
Wirtschaftspolitik/Europäische Integration wurde kredenzt und die unüberschaubare Menge kaum mehr zu bändigender Kommilitonen (handgezählte 13-15 – je nach Zählweise) verlangte Satisfaktion. Das alles bereits um 8 Uhr 30 in der früh – unglaublich, nicht zu fassen. Im krassen Gegensatz dazu der gelangweilte Auszug aus der Lokalität, als 20 Minuten später immer noch kein Professor in Sicht- oder Riechweite war. Leicht erzürnt ob der Aussicht auf sechs weitere Stunden Zeitvertreib in der TU (etwa so erheiternd, wie Weißheitszähnezählen bei 100jährigen) entschied ich mich, der Sache auf den Grund zu gehen und wurde beim Lehrstuhl vorstellig. Dort beschied mir ein Kleiner Zettel, der hastig zwei Tage vorher an die Pinnwand gepult wurde, dass tatsächlich erst nächste Woche der Startschuss gepfiffen werden würde. Und so liefen sie dann auch ab, die ersten 10 Unitage: Scheinbar wollte alles und jeder in der Uni mich darauf hinweisen, dass meine Motivation komplett fehl am Platze ist. So auch Prof. Hunscha, der mich und die anderen Beteiligten wieder einmal darüber aufklärte, dass die unsägliche Linkspartei im Berliner Senat wieder einmal allerhand Mittel für Bildung zusammenstreicht. Zu dumm, dass er dieselbe Einleitung bereits vor mittlerweile vier Jahren in der Einführungsveranstaltung meines Studiengangs benutzte. Kurz gesagt: Der Weg war gepflastert von Routine, schlechtem Mensa-Essen und allerhand Holzköpfen im Publikum. Gerade in so einer Situation merkt man natürlich das Fehlen von ein, zwei Kollegen, die immer antiproportional zu rhetorischer Höchstform aufliefen, wie die Spannungskurve der Vorlesung nach unten abfiel. Schön war’s früher, als ein Dozent sich vorn seine zusammenhanglosen Sätze aus dem Wanst presste, während der ganze Saal selig schlief. Der ganze Saal? Nein, denn ein kleines Grüppchen leistet erbitterten Widerstand, beobachtet die lustigsten Johnnies im Publikum oder wertet die Bayern-Seite der SZ aus, lacht sich dabei Augen und Achseln feucht und muss dem dann Tribut zollen, indem es geschlossen den Ort des Geschehens verlässt und sich ins Schimmeleck auf einen Kaffee verzieht. Hesse und Kurhesse, kommt bald wieder!
Zum Frustabbau war bereits zuvor die Fahrt nach Köln anberaumt. „FC gegen FCE“ – was klingt wie die erste Deutschstunde im Trinkerheim, oder aber auch das Testament von Harald Juhnke, sollte auch selbiges halten. Angekommen am Bahnhof nachts um elf ging es, o Wunder, erst mal auf ein paar Kölsch in die Altstadt. Als ich das Treiben in der ersten Kneipe sah, wusste ich, dass es eine mit Gold nicht mehr aufzuwiegende Entscheidung sein würde, meinen Rucksack über Nacht im Bahnhof einzuschließen. Dies anzukündigen hob ich meine Hand, um meine fünf Freunde, die mich abgeholt hatten, auf meinen Durst und meine zeitnahe Rückkehr hinzuweisen. Ich hatte die Hand handgestoppte 30 Millisekunden in der Luft, da wurde sie sogleich von zwei Jecken um die 40 abgeklatscht mit dem anschließenden Dialog:
„Tach, wer bist du denn?“
„Ja, ich bin der Micha.“
„Mensch, Micha, trink doch eene mit.“
Das tat ich auch, und wenn man direkt so mit der rheinischen Fröhlichkeit konfrontiert wird, lässt einen das nicht mehr los. Sechs bis zwölf Stunden, nachdem wir zuhause ankamen, ging es dann auch direkt los zum Stadion. Mein Mittagessen bestand aus zwei Dönern und drei Paracetamol, die ich mit einem Tropfen Bier in der Fußgängerzone ihrem Bestimmungsort zuführte. Eins vorweg: Den Kopfschmerz lindern sollte schließlich erst der Ramazotti am Abend. Eine unsägliche Partie bekamen wir zu sehen, Stimmung Fehlanzeige. Wenigstens hatte ein Cottbuser Fan noch seinen Auftritt, der (direkt am Zaun zu den Kölschen Fans stehend) zu pöbeln begann. Das halbseidene Kerlchen fing Händel mit einem Typen an, der drei Mal so intelligent und fünf Mal so reich wie er selbst aussah – ein richtiger Normalo eben. Kurze Personenbeschreibung:
Kölner Fan: Familienvater, um die 30, 3-4jähriges Kind aufm Schoß, Freundin daneben sitzend
Cottbuser Fan: Atze, 16-18 Jahre, seit zehn Jahren Raucher (der bestimmt auch immer spuckt), frustriert, verliert TicTacToe gegen ein gewöhnliches Haushuhn
Wer hat Recht? Nach kurzem Hin und Her machte ich die Wurst darauf aufmerksam, wie peinlich das, was er da abzöge, doch für ihn und alle anderen wäre. Verstand er nicht. Wenigstens hat die Freundin des Kölner Fans ihm den Endsieg des Disputs dahingehend verwehrt, dass sie ihm den Pfandbecher wegnahm, der auf der Kölner Seite des Zauns eingehangen war und „rüber“ gezuppelt werden sollte – ein herrliches Bild. Sie: „Und der Becher, der bleibt hier!“ Sprachs, stellte den heiligen Gral auf den Sitz direkt neben den Zaun (gerade außerhalb der Greifweite unseres minderbemittelten Heimatgenossen), und ging. Was für eine Demütigung und Blamage für Maik (so heisst er bestimmt).
So trollten auch wir uns und fanden uns in der Wohnung von Gastgeber Thomas bei einer Pizza und „Der Prinz von Zamunda“ im TV wieder. Gelangweilt fiel mir ein milchiger Fleck auf meinem rechten Knie auf. Mysteriös. Ich kratzte etwas daran und stellte fest, dass es sich um die Konsistenz erstarrten Bruchs handelte. Wie konnte jemand so eine geringe Menge brechen? Und warum auf mein Knie? Entgeistert fiel mir auf, dass ich gerade zuvor die Beine überschlagen hatte und so schielte ich instinktiv runter zu meinem linken Bein. Und tatsächlich: Mir hatte jemand die ganze Wade vollgebrochen. Widerlich, aber dennoch lustig. Es musste am Abend zuvor oder aber während des Spiels (war es Maik?) passiert sein. Wir waren zu sechst und niemand will es gesehen, gerochen und vor allem gewesen haben oder sein. Haben oder Sein? Die gute alte Frage. Jedenfalls HATTE ich die Brille auf und WAR angewidert von solch einem Verhalten anderer Mitmenschen. Ich selbst kann es nicht gewesen sein, vielmehr sollte ich mein Studium schmeißen, wenn ich mich so akrobatisch verdrehen kann, dass ich meine eigene Wade bebreche – der chinesische Staatszirkus würde mich mit Kusshand nehmen. In Ermangelung einer Ersatzhose schabte eine Klinge Solinger Stahl mir den Plins von der Extremität und so war ich wieder stadtfein. Im Bewusstsein, es am Abend zuvor schon übertrieben gehabt zu haben entschieden wir, alles zu trinken, was uns in den Weg kam. Denn, so weiß der erfahrene Trinker, am Tag DANACH kann man gar nicht mehr besoffen werden. Es ging doch!
Sonntags fuhr ich dann mit Freunden aus der Heimat gen Berlin, die ich im Stadion getroffen hatte. Drei Stunden Skat spielen (gefolgt von drei Stunden Übelkeit) im VW-Bus mit massig Platz und das für 15 Euro: Wo muss ich unterschreiben?
So war’s, ich schwöre, so wahr mir der gute Pott helfe!
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