Wednesday, October 1, 2008

Das andere Ende

Ja, gestern hab ich die andere Seite von inbrünstiger Freude erlebt, nicht minder witzig als die Kaiser's-Sache, aber erst im Nachhinein. Alles begann mit einem regnerischen Tag und meinem Vorhaben, zum Training zu fahren. Ich nahm das Fahrrad, weil ich bis einschließlich gestern noch kein Semesterticket hatte.

Ob es aus Faulheit der Straßenbeschrifter geschieht oder aus der Einsicht, dass Radfahrer sowieso überall langfahren, wo sie wollen und nicht sollen, ich weiß es nicht. Fakt ist jedoch: Radwege in Berlin werden mitunter an einer Kreuzung angedeutet, und nach zehn Metern hört die gestreifte Linie auf, Rad- und Kfz-Halter wissen nun, wie die Straße aufgeteilt ist. Wie exakt einige diese virtuell weiterverlaufenden Linien nun vor Augen haben, durfte ich alsgleich erfahren. Als ich die Landsberger Allee hochfuhr, endete auf einmal mitten auf einer Geraden der Radweg und bog auf den Bürgersteig ab. "Auf einmal" klingt sehr spontan, in Wahrheit wurde ich durch eine fünf Meter lange, durch eine Pfützenrinne getarnte gestrichelte Linie darauf aufmerksam gemacht, auf den Bürgersteig zu wechseln...

Wie dem auch sei: Ausfahrt verpasst und direkt danach zieht ein Kombi an mir vorbei mit Minimalabstand, scheinbar war der Fahrer geistesgegenwärtiger oder -kranker Weise davon ausgegangen, dass ich der virtuellen Linie folgen (= mich verpissen von der Straße) würde. Gut, kleiner Schreck, alles ganz okay. Doch wie es so ist in einer Situation wie dieser: Es fehlt die Polemik! Bis jetzt war das ja alles kalter Kaffee.

In meinem Versuch, mich an den an der roten Ampel haltenden Autos vorbeizuschlängeln, durfte ich nämlich Bekanntschaft mit dem Chef des Wagens (er saß zumindest hinten rechts) schließen. Johnny war einer von (O-Ton Arnold Schwarzenegger) "funf Erwochsenen in aanem Oodi Quottro" (in Wirklichkeit wars ein Passat), und der Einfachheit halber hatten alle Blaumänner an. Ich nehme an, dass er seinen Platz als Sozius in der Mitte der Rückbank immer nur dann verlassen darf, wenn gerade jemand in der Ausbildung ist, und ihn verliert, sobald der Stift das zweite Lehrjahr erreicht. Seine interkulturelle Kompetenz zeigte sich bereits vor dem ersten Wort. Wer es bis jetzt nicht weiß, dem sei es hier einmal gesagt: Zahnherbst mit Geifer dazwischen, zwei Pils im Atem und ordentlich angelegte Haare wie der junge Bud Spencer sind alles Indizien für sachlich angebrachte Kritik!

Johnny maßregelte mich entsprechend meinem Vergehen mit einem barschen "Weeßte nisch wo der Fahrradweg is, du Arschloch, oder wat?". Es ging mir unter die Haut bis auf die Knochen. Vor Scham. Denn ich kannte ja meinen Fehler. Dazu bereit, präventiv meinen Stiefel durch das nur halb runtergekurbelte Fenster und die sporadische orale Elfenbeineinfassung direkt in seinen Schädel rein zu tun antwortete ich mit einem sehr erregten: "Tut mir leid. Hab ich nicht gesehen, dass der Fahrradweg da aufhört. Wollte ich nicht. Hab ich nicht mit Absicht gemacht. Kann doch jedem mal passieren." Klar, dass unser Konfliktpsychologe sich vor seinen Kollegen nicht so plump ans Bein pinkeln lassen wollte, zudem hatte er seine profunden Germanistik-Kenntnisse noch nicht anbringen können. So wurde ich nur minder überrascht, bereits im sicheren Gefühl, diese Situation mit meiner polternden, übertrieben provokanten Art wieder einmal entschärft zu haben, als ich in meinem Rücken den Breitmaulfrosch noch mal zu einer Breitseite ansetzen hörte.

"Das is noch lange keene Ausrede", warf er mir den Fehdehandschuh hin. Wer mit mir schon einmal im Straßenverkehr unterwegs war, weiß, dass mich nichts und niemand aus der Ruhe oder in Rage bringen kann. Und normalerweise trifft mich Plumpheit immer auf dem falschen Fuß, beziehungsweise fühle ich immer mit den armen Seelen, anstatt ihnen etwas Paroli zu bieten. Normalerweise! Da ich mit meinem Kumpel Stefan in letzter Zeit jedoch Plattitüden aller couleur auswerte, dachte ich: "Streu ich doch mal einen ein!"

Also stieg ich vom Rad, drehte mich um, ging einen Schritt näher hin, hob meinen Zeigefinger gen Suffnase hinten rechts und brüllte ihn an: "Was is'n mit DIR? Was nimmst DU DIR denn raus, mich hier auf der Straße anzuschreien? Hast du weiter nichts im Schädel, oder was?" Mit einem herausgeschnieften "Man, do!" stieg ich auf und fuhr weiter. Im Auto drehten sich vier Köpfe in Richtung des Schreihalses, der kleinlaut das Fenster hochkurbelte. Vermutlich hatte ihm der Fahrer diesen Auftrag erteilt, damit der Regen die Karre nicht vollsuppt. Vermutlich rangiert er jetzt in der Hierarchie auf dem Bau direkt zwischen dem Azubi und dem Schülerpraktikanten, aber das war mir egal.

Ich hab mich gefreut, mal nach außen hin Dampf abzulassen, ohne dass mich die Situation in irgendeiner Form angehoben hätte. Armselig zwar, wenn man ausschließlich in dieser Sprache über die Runden kommt, aber Spaß machts irgendwo ja doch. Außer dem Johnny, der jetzt wohl die Tränen des traurigen Clowns weint...

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